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Der Goldklumpen im Turmverlies

In der Kempe bei Mahlitzsch saß einst ein reiches Rittergeschlecht. Goldenes Geschmeide schmückte die Edelfrauen. Bunte Edelsteine funkelten an den Waffen der Herren. Daneben besaßen sie noch gleißendes Gold in Hülle und Fülle. Sie hätten Rüstungen und Wände mit ihnen bedecken und ihren Frauen golddurchwirkte Kleider schaffen können. Aber sie taten es nicht.

Im Turmverlies lag der Schatz gesichert, denn es waren schwere Zeiten über das Land gekommen Feinde zogen verheerend durch die Mark, verwüsteten die Fluren, brannten die Häuser der Bauern nieder, berannten die festen Rittersitze und schossen Brandpfeile auch auf das Schindeldach der Kempe. Hoch loderten die Flammen, verzehrten alles Holzwerk und die Bewehrung.

Postkarte mit Blick auf die Muldenbrücke in Mahlitzsch und die Ruine Kempe (hier fälschlicherweise als "Kämpfe")

Das stürzende Gebälk riss die Mauerkrone nieder, füllte Kellergelass und Verlies und begrub den Goldschatz, dass ihn niemand fand. Jahrhunderte vergingen, aber die Kunde von einem vergrabenen Schatz hielt sich von Geschlecht zu Geschlecht. Nur in einer Silvesternacht konnte er gehoben werden. Kein Laut durfte dabei erschallen. Einst entschlossen sich die umwohnenden Bauern zum Werke. Sie schafften entschlossen die Steine aus dem verfallenen Turm, gruben Schutt heraus und stießen auf den Schatz. Der war aber so schwer, dass sie ihn nicht heben konnten. Da holten sie Stricke herbei und schlangen sie darum. Die Seile zogen sie über das Gemäuer und zogen alle daran. Schon zeigte sich der Klumpen. Da seufzte einer, dem das Seil zu tief in die Schulter einschnitt. Sofort zerrissen die Stränge. Mit donnerähnlichem Gepolter stürzte die schwere Masse in die Tiefe. Ein großer Teil der Mauer stürzte mit hinab. Die Bauern überfiel große Angst. Sie flüchteten in ihre Häuser und wagten sich den ganzen Neujahrstag mehr heraus. Nie wieder hat jemand nach dem Schatz gegraben. Nur manchmal ziehen Einwohner nach fröhlicher Silvesternacht zu der Ruine. Da erwacht der Wind in den hohen Mauern und bläst durch die offenen Fensterhöhlen. Frierend gehen sie nach Hause, legen sich in ihre Betten und träumen von dem großen Goldklumpen im Turmverlies.

nach Grässe "Sagenschatz des Königreichs Sachsen"
G.Schönbergs Verlagsbuchhandlung - Dresden Ersterscheinung: 1854