Rathaus
Hier beraten die "Stadtväter" über das Heute und das Morgen Döbelns.
Von den umliegenden Anhöhen im Norden, Osten und im Süden - Leipziger Berg, Dresdner Berg und Geyersberg - bietet sich ein guter Blick auf die verschiedenen Wohngebiete der sich in der Muldentalsenke ausbreitenden Stadt Döbeln.
Dabei fallen dem Betrachter der Bauten auf der Muldeninsel, dem Stadtkern Döbelns, zwei imposante Türme auf. Es sind dies der 59 Meter hohe Rathausturm (im Bild rechts) und östlich davon der 63 Meter emporragende Turm der Kirche St. Nicolai. Wir wollen aus der Geschichte des Rathauses berichten, von dem Haus, in dem der Bürgermeister mit den "Stadtvätern" über das Heute und das Morgen der Stadt und ihrer Bürger berät und entscheidet.
Bekanntlich wurde Döbeln erstmalig im Jahre 981 urkundlich erwähnt. Der bekannte Döbelner Chronist Hingst vermutete schon zu frühen Zeiten der Stadtgeschichte das Vorhandensein von ratsähnlichen Einrichtungen in der Stadt. Urkunden darüber existieren aber erst aus den Jahren 1409 und 1420.
Als im Jahre 1730 ein großer Stadtbrand wütete, fiel diesem auch das damalige Rathaus zum Opfer. 1731 konnte der Dachstuhl gehoben und das Rathaus wieder genutzt werden. In den Jahren 1744 und 1745 bekam das Gebäude einen kleinen Turm (Dachreiter) aufgesetzt und erhielt auch schließlich eine Uhr samt Justiz- und Marktglocke. Nachdem 1758 die Rathausuhr gegen eine andere ausgetauscht worden war, hatte das Rathaus seine endgültige Form als Vorläufer des heutigen Hauses erhalten.
Historische Ansichtskarten des alten Döbelner Rathauses
Einhundert Jahre später erörterten im Jahre 1867 die Stadtverordneten die Notwendigkeit eines neuen Rathauses, da das vorhandene nicht mehr den Anforderungen entsprach. Erste Entwürfe und Vorschläge für eine Veränderung wurden bald wieder verworfen.
Die Sparkasse zog 1891 in das Gebäude Ecke Königstraße/ Zwingerstraße. Nachdem in der Folgezeit weitere Ämter auszogen, kam es 1900 und 1905 zu neuen Beschlüssen des Rates. Ende 1906 berichtete der damalige "Döbelner Anzeiger" von einem Architektenpreisausschreiben für ein neues Rathaus.
Bis Ende 1907 gingen von deutschen Architekten 147 Entwürfe ein, die sich um das Preisgeld von 6000 Mark bewarben. Zu Favoriten machte der Rat solche Bewerber, deren Entwürfe die Konzeption des Obermarktes weitgehend erhielten und mit wenig Gebäudeabrissen am Markt auskamen. Drei Entwürfe erhielten eine Prämie.
Nun ging es um den Bauplatz, bis man sich endlich entschloß, an der Stelle des alten Rathauses zu bauen. Stadtbaumeister Karl Otto Richter erhielt den Auftrag aus den ausgewählten Entwürfen einen neuen zu erarbeiten, der die historische Form des Obermarktes beibehalten sollte. Dies gelang ihm vortrefflich mit einem "Winkelprojekt", welches 1908 angenommen wurde - geplante Kosten 615.264 Mark!
Nachdem Geheimrat Prof. Hugo Licht, Leipzig, 1909 ein Gutachten abgegeben hatte, konnten die Stadtverordneten Mitte 1909 endgültig "Grünes Licht" für den Rathausneubau geben. Der Abbruch des alten Rathauses begann im Juli 1910 mit der Herausnahme und Bergung des Portals. Sitzungen des Rates hielt man nun im Saal des Vereinshauses in der Schillerstraße ab. Die Rathausuhr wurde für das künftige Bürgerheim ausgebaut.
Am 29.03.1910 führte Stadtbaumeister Richter den ersten Spatenstich aus. Es folgten Grundsteinlegung am 30.05.1910 und Hebefest am 23.09.1911. Am Tag der Grundsteinlegung stiftete der Dresdner Rentier Johann Carl Schlegel 25.000 Mark für den Bau eines Brunnens vor dem Rathaus, ein Bauwerk, das uns auch heute noch erfreut.
Am 14.10.1912 wird nach zwei Jahren Bauzeit im Beisein des Königs Friedrich August und hoher Ehrengäste das neue Rathaus feierlich eingeweiht. Die Baukosten betrugen am Ende 1.059 365 Mark.
In dem aus Thüringer Muschelkalk und Herrenleithener Sandstein im Neorenaissancestil erbauten Rathaus hat sich das damalige selbstbewusste und finanzstarke Döbelner Bürgertum ein hervorragendes Denkmal jener Zeit an der Schwelle zum 20. Jahrhundert gesetzt. Das imposante Bauwerk würde auch einer weit größeren Stadt als Döbeln zur Ehre gereichen.
Historische Ansichtskarten des neuen Döbelner Rathauses
Historische Ansichtskarten - Innenansichten des neuen Döbelner Rathauses
Während wir im Gebäudeinneren große Kreuzgewölbe bewundern dürfen, erfreuen reiche Verzierungen an den Außenfronten unser Auge. Von den zahlreichen in Stein gehauenen Figuren und Ornamenten können wir hier nur einige aufzählen. Die Schmuckelemente haben einerseits symbolhaften und allegorischen Charakter, es gibt aber andererseits auch solche, die Episoden aus dem damaligen Stadtgeschehen in humoristischer Form darstellen.
Am Rathauseingang stellen rechts und links zwei überlebensgroße männliche Figuren menschliche Tugenden dar: Klugheit und Tatkraft. In den halbausgebildeten Säulen symbolisieren Bienen und Eidechsen Fleiß und ebenfalls Klugheit.
Aus dem Schlussstein des Portals schaut mit dem Stadtwappen im Arm Doblina den Betrachter an. Über allem befindet am Turmerker eine weibliche Figur, die zwei Krüge in den Armen hält, deren auslaufendes Wasser die beiden Muldenarme, die den Stadtkern umschließen, darstellen sollen.
Weiterhin ist hier neben anderen Persönlichkeiten der Bildhauer Johannes Hartmann beim Modellieren des Schlegelbrunnens verewigt. Weitere Figuren an Süd- und Ostseite stellen Personen aus dem Rathausbaugeschehen dar oder haben Symbolcharakter, wie Koch und Köchin an der Ostseite mit dem Eingang zum Ratskeller!
Ein Beispiel für den Humor bei den Reliefen bietet jenes, welches zur Löwenapotheke hinweist: Zwei Hunde (Architekten) streiten sich um einen Knochen (Rathaus), der von einem lachenden Dritten in der Mitte schon fest zwischen den Pfoten liegt:
Acht Jahrzehnte "Lebenszeit" gingen auch am Rathaus nicht spurlos vorüber. Der Zahn der Zeit, die Umwelteinflüsse, nagten an Dächern und Bauteilen anderer Art, ließen die Fassade grau werden. In den Jahren 1991 bis 1993 stand eine Rekonstruktion an. Das riesige Baugerüst ließ den Turm noch gewaltiger erscheinen. Nach Beendigung der Arbeiten erstrahlt unser Rathaus in neuem, ursprünglichen Glanz, ein Schmuckstück der Stadt.
Ende 1994 zog die Sparkasse aus dem heutigen Rathaus in ihren Neubau in der Ritterstraße um. Im Jahre 1997 ist der Ratskeller wieder "in deutscher Hand" und nennt sich "Döbelner Brauhaus", in welchem die Betreiber zwei Sorten Bier aus der im Ratskeller installierten Hausbrauerei anbieten. Zur 85-Jährigen Rathausweihe eröffnete im Oktober 1997 das Stadtmuseum seine Ausstellung in den oberen Turmräumen. Dieser Ort ist zwar für ältere Bürger wegen der vielen Treppenstufen bis dorthin nicht zu erreichen, jedoch entschädigt der Blick auf Döbelns "gute Stube", die toll sanierte Altstadt mit ihrer Vielfalt an Gassen, Plätzen, Dächern und schönen Häuserfassaden sowie dem sich in vielen Bereichen dominant behauptenden Grün die Mühen des Aufstieges!
Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 18
Mai 2000
Judith kämpft für Döbeln
Steinerne Figur am Rathaus soll alle mahnen, sich für das Wohl der Stadt einzusetzen
Aufmerksame finden von der Stadthausstraße aus am Seiteneingang zum Rathaus ein Sitznischenportal aus Sandstein. Es weist die Jahreszahl 1571 auf. Über den verwitterten steinernen Sitzen sind zwei unvollständig erhaltene Figuren zu erkennen. Die linke Figur des Gewändes ist eindeutig weiblich und trägt „spanische Mode“, wozu auch ein noch erkennbarer Hut gehört. In der rechten Hand hat sie ein recht großes, erhobenes Krummschwert.
Damit kann sie klar und deutlich identifiziert werden: Es handelt sich um die alttestamentarische Figur der Judith. Dazu gibt es folgende aktions- wie beziehungsreiche Legende:
Ein großes assyrisches Heer unter Führung des Feldherrn Holofernes belagerte Jerusalem und schickte sich an,die Stadt zu erstürmen. Um die Gefahr abzuwenden, opferte sich die schöne junge Witwe Judith und ging verkleidet in das Lager der Belagerer. Die Couragierte traf Holofernes in seinem Zelte und schlug ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopfe ab. Zusammen mit ihrer Magd brachte sie diesen in ihre Heimatstadt zurück. Dort wurde er von den Eingeschlossenen auf eine Stange gespießt und den Belagerern auf der Mauer präsentiert. Daraufhin ergriff das mächtige, nun auf einmal völlig unerwartet führerlose Heer eine Panik, der eine überstürzte Flucht folgte.
Die Rettung einer Stadt oder eines Heimatlandes durch eine mutige, gläubige Frau vor einem übermächtig scheinenden Feind wird seit dem Mittelalter oft, immer durchaus zeitbezogen und meist unter verschiedenen Blickwinkeln, in künstlerischer Weise gewürdigt.
Wiederholt und auf die jeweilige Situation bezogen, stellte man Judith Erinnerungen an verschiedenen Stellen inner- wie außerhalb der Rathäuser auf. Immer wurde den gebildeten Bürgern verständlich mit durchaus verschiedenen Absichten die aufopfernde Tat der Judith als Vorbild vor Augen gehalten. Das Gleichnis mit der Aufforderung zum Handeln für die Heimatstadt war ein klassisches Bildungsgut der Vermögenden, das in agitatorischer Weise an alle gerichtet wurde. So geschah es auch am alten Döbelner Rathaus: Jeder – Bürger wie Ratsherr – musste an der versteinerten Forderung und Aufforderung zum uneigennützigen Bürgersinn vorüber, ehe er das Haus betreten konnte. Ob den Sinn alle oder wenigstens viele Döbelner kannten und verstanden, können wir nicht entscheiden. Es bleibt dahingestellt, ob sie daraus die durchaus beabsichtigten Schlüsse zogen und bereit waren, sich vorbehaltlos für die gepriesenen Bürgertugenden einzusetzen.
Für uns ist das Portal eine so genannte Spolie, eine bewusste Übernahme aus dem vorherigen Rathaus, die einen Bezug zum Vorgängerbau herstellt. Wahrscheinlich war es sogar das Hauptportal, das uns als bauliche Überlieferung erhalten blieb und Erinnerung wie Geschichtsverständnis sein kann. Ob dieser versteinerte Appell eine Wirkung hatte, ist nicht überliefert. Ebenso könnte es einen durchaus ironischen oder agitatorischen Hintergrund haben, dass das Portal an die Seite des Neubaues von 1912 gestellte wurde: Um das viele Geld, das ein nach Dresden Verzogener für den Bau des Rathauses stiftete, gab es einen ausgewachsenen Streit und eine entwürdigende Posse. Vielleicht geschah es auch bloß darum, weil man das Portal noch brauchbar fand.
Im konkreten Falle haben wir einen reichlich 400-jährigen, dauerhaft-steinernen Appell vor uns, der nicht nur für ein paar Steinmetzen eine qualifizierte Arbeit bedeutete. Sie kann die eilig Vorübergehenden unter uns anregen, über den Sinn von Aufforderungen nachzudenken. Das setzt aber voraus, dass auch die „Fabel“ bekannt ist und nicht mit dem klassischen Bildungsgut verloren ging.
Rudolf Priemer
Döbelner Allgemeine Zeitung
23.07.2008