Gaslaternen
Zu Michaelis 1857 begann in Döbeln die Errichtung einer Gasbeleuchtungsanstalt der Stadt.
In seiner Döbeln-Chronik vermerkt C. W. Hingst für das Jahr 1857: „Zu Michaelis begann die Errichtung einer Gasbeleuchtungsanstalt der Stadt in den Gärten zwischen Salzgraben und Mulde.“ Somit konnte ab 29. September 1857 die Dunkelheit in Döbelns nächtlichen Straßen mit Gaslicht erhellt werden. Am Eingang zur Gasanstalt wies ein Schild den Besitzer, die "Neue Gas-Actien-Gesellschaft Berlin", aus.
Wie so oft in Wissenschaft und Technik wird an vielen Orten gleichzeitig an der Lösung von Problemen gearbeitet und gleichwohl hat der Erfolg auch viele Väter. Für das Gaslicht ist in den Chroniken der Engländer William Murdock vermerkt. Er beleuchtete im Jahre 1792 zunächst sein Haus in London-Soho, es folgten Fabriken und 1814 konnten in London die ersten Straßenlampen aufleuchten.
Auch wir müsen unser sächsisches Gaslicht nicht unter den Scheffel stellen. Hier hatte der legendäre Professor Wilhelm August Lampadius (1772-1842) im Jahr 1811 in seiner Wohnung und in Teilen der Stadt Freiberg das Gaslicht angezündet. Nach Dresden (1828) und Leipzig (1838) erhielt Freiberg die dritte Gasanstalt Sachsens im Jahre 1847. Übrigens konnte im gleichen Jahr in Döbeln eine weitere englische Erfindung, die Eisenbahn, begrüßt werden. Mit der „Saxonia“ boten die Sachsen der berühmten Lokomotive „Rocket“ von George Stephenson erfolgreich Paroli.
Nun zurück zum Leuchtgas: mehrere Erfinder - ein Erzeugungsprinzip. Zerkleinerte Steinkohle wird unter Luftabschluss bei 1.000-1.250°C innerhalb von acht Stunden entgast. Im Ofen verbleibt danach Koks. Das heiße Rohgas wird abgekühlt und mehrfach gereinigt. In den dazu notwendigen Apparaten fallen zahlreiche, zunächst unerwünschte Nebenprodukte, die Teerrohstoffe, an, bis schließlich das eigentliche Leuchtgas in Gasbehältern aufgefangen und gespeichert wird.
Von den Gasbehältern, der Volksmund nennt sie Gasometer, verläuft ein Rohrnetz zu den Verbrauchern. Das erste Döbelner Rohrnetz finden wir auf dem Nieder- und Obermarkt, in der Bahnhofstraße, in der Kirchgasse, in der St.-Georgen- und in der Staupitzstraße. Die Netzlänge betrug im Jahr 1867 nur drei Kilometer, im Jahre 1957 waren es bereits 60 Kilometer.
Anfangs diente das Gas lediglich zur Beleuchtung von Haushalten und Gewerberäumen. Eine steigende Zahl von Straßenlaternen zeigte den Döbelnern Wirtshausbesuchern den Weg nach Hause. Das im Jahr 1872 erbaute Stadttheater wurde bereits durch 160 Gaslampen erhellt. Wer denkt da nicht an den Operetten-Gassenhauer „Lampenputzer war mein Vater...“? Der Laternenanzünder von damals war aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.
Die Straßenbeleuchtung verbrauchte zunächst 50% der Leuchtgaserzeugung. Einen großen Qualitätssprung brachte der so genannte Glühstrumpf, eine Erfindung des Wiener Chemikers Dr. Auer von Welsbach im Jahr 1885. Das „Auerlicht“ brauchte weniger Gas und leuchtete so stark, dass es die Konkurrenz der elektrischen Glühlampe nicht fürchten musste. Der „Gas-Boom“ hielt an und eroberte immer mehr Haushalte mit Geräten zum Kochen, Backen und Heizen.
Auch die teilweise übelriechenden Abprodukte der Gasanstalten wie Teer, Schwefel und Ammoniak wurden zu wertvollen Ausgangsstoffen für die sich entwickelnde Teerchemie. Es entstanden daraus Farb- und Treibstoffe sowie Arznei- und Düngemittel. Gaswerke und Chemiefabriken verbanden sich sprichwörtlich wie „Pech und Schwefel“.
In Döbeln bestätigte sich diese Symbiose mit dem Aufbau der Werke von Oswald Greiner ab 1874. Davon kündeten auch bald deren Kesselwagen mit der Aufschrift „Döbelner Chemische Fabrik“. Der anfallende Koks fand schnell Abnehmer als Heizstoff in der Industrie und in den Stahlwerken. Im Gaswerk selber brachte er die Retortenöfen auf Temperatur. Die wachsende Industrie verlangte nach immer mehr Gas. Das Gaswerk steigerte den Ausstoß und erweiterte deshalb mehrfach die Anlagen. Mehr Steinkohle musste herangeschafft werden. Der im Jahr 1886 gebaute neue Bahnhof (heute Hauptbahnhof) ersparte seitdem den Zugpferden der Kohlefuhrwerke den mühevollen Weg über den Leipziger Berg.
Ende 1897 lief der Konzessionsvertrag der Stadt mit den Berliner Gaswerksbetreibern ab. Am 31. Dezember 1897 übernahm die Stadt Döbeln das Werk. Generaldirektor Julius Nolte händigte den Berliner Aktionären dafür 247.025 Mark aus. Dieser Glücksfall für Döbeln war ein Trostpflaster für das Unheil, welches im Juli 1897 durch ein Hochwasser in der Stadt angerichtet wurde.
1900 wurde die Ofenanlage modernisiert, der Apparatebereich wuchs und vier Jahre später entstand ein Gasometer für 2.500 Kubikmeter Gas. Ab dem 1. April 1905 bis 1922 erzeugten die Stadtwerke elektrischen Strom aus Stadtgas, zunächst mehr Partner und nicht als Konkurrent zum Gas. Dies belegt auch eine Inventur der Döbelner Straßenbeleuchtung im Jahr 1907: 338 Gas-, 7 Petroleum- und 10 elektrische Bogenlampen.
Zwischen dem Elektrizitätswerk und dem Betriebsamt auf der westlichen Seite der Bismarckstraße wurde 1906 ein neues Ofenhaus gebaut. Die Gebäude des Gaswerkes von 1857 auf der Gegenseite der Straße verschwanden 1908. Auf dieser Freifläche entstanden 1912 ein neues Apparatehaus, ein Kesselhaus und Werkstätten. Ein 5.000-Kubikmeter-Teleskop-Gasometer wetteiferte an Höhe mit dem Kesselhaus-Schornstein. 1919 erhielt das neue Ofenhaus einen Hochbunker für Kohle und Koks. Die Anschaffung weiterer LKW vergrößerte den Fuhrpark der Stadtwerke.
Von 1939 bis 1942 wurden die veralteten Retortenöfen durch moderne Vertikal-Kammeröfen ersetzt. Nun konnten 20 neue Öfen jeweils 40 Tonnen Steinkohle gleichzeitig ausgasen. Optisch eindrucksvoll war der Abstich, fast ein Schauspiel. Der untere Verschluss eines Ofens öffnete sich und wie aus einem Vulkan fielen die entgasten glühenden Koksbrocken in den darunter stehenden Kokslöschwagen. Der gefüllte Wagen fuhr unter einen abseits stehenden hölzernen Löschturm, aus dem beim Ablöschen mit Wasser eine weit sichtbare Dampfwolke quoll, die den Döbelnern verkündete „Ausgegast ist’s!“.
Wie es sich für Döbeln, der „Stadt der Dreien“ gehört, gesellte sich 1942 zu den zwei vorhandenen ein dritter Gasometer. Diesen Riesen für 10.000 Kubikmeter Gas hatte die Stadt im Ruhrgebiet gebraucht erworben. Nach dem Aufbau in Döbeln bestimmte er durch seine Ausmaße und die Höhe von 35 Metern über Jahrzehnte die „Skyline“ von Döbeln. Im Jahr 1956 durchgeführte bauliche Veränderungen und Erweiterungen im Gaswerk betrafen die Bunkerung, den Fuhrpark und das Rohrnetz.
Schon zwei Jahre später klopfte das Ferngas an die Tore der Stadt. Westdeutschland drosselte den Nachschub an Steinkohle, Ostdeutschland setzte seine Braunkohle dagegen. Diese sollte dort entgast werden, wo sie in riesigen Tagebauen gefördert wurde. So kam es in den 50iger Jahren zur Gründung des Gaskombinates „Schwarze Pumpe“ im Lausitzer Revier. Anfang der 70iger Jahre konnten durch den Ausbau des Ferngasnetzes flächendeckend Gaswerke außer Betrieb genommen werden. Die betroffenen Städte erhielten einen Anschluss an die Einspeisung aus Schwarze Pumpe, das geschah am 30. Juni 1972 auch in Döbeln. Die Gaslaternen gingen aus. Im Döbelner Zwingerviertel hatten einige bis dato überlebt und waren so letzte Zeugen einer glorreichen Ära geworden.
Das gleiche Schicksal ereilte die Gebäude und Einrichtungen des Gaswerkes. Zuerst verschwanden die Gasometer. Der kleinste schon 1954. Im Jahr 1977 erwischte es den mittleren und der größte wurde 1981 entsorgt. Im August 1999 fielen die Mauern des Ofen- und Apparatehauses. Zwei Kilogramm Sprengstoff waren notwendig, um am 19. August 1999 den 45 Meter hohen Schornstein zum Einsturz zu bringen.
Was ist vom Döbelner Gaswerk geblieben? Wo einmal Gasometer und Apparatehaus standen, befindet sich heute ein Parkplatz und nahe der einstigen Salzgasse breitet sich ein Supermarkt aus. Der Verkehr rollt seit August 2000 über das westliche Endstück der Ritterstraße bis in die ehemalige Bismarckstraße (jetzt Rosa-Luxemburg-Straße). Gegenüber dieser Einmündung steht noch das ehemalige Döbelner Elektrizitätswerk, welches 1997 zum Stammsitz der Stadtwerke Döbeln GmbH umgebaut wurde.
Und dessen Anblick ist ein wahrer Augentrost. Die alte Fassade von 1905 blieb erhalten, erhielt jedoch eine Auffrischungskur und zeugt heute vom Glanz früherer Aufbruchzeiten, als Döbeln „erleuchtet“ wurde. Und unter dem Dach dieses Hauses, wo vor über 100 Jahren ein erster Stromgenerator seine Arbeit aufnahm, sprühen heute die Gedankenblitze der Stadtwerke-Angestellten.
Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 32
Mai 2007