
Zuckerfabrik Döbeln AG

- Nach einer konstituierenden Sitzung am 21. September 1882 wird bereits am 11. Oktober das ausgewählte Baugrundstück vom Gärtitzer Rittergutspächter Pornitz für 45 000 Mark gekauft. Es werden 105 Aktien zu je 6000 Mark ausgegeben. Am 14. Dezember wird die neue Aktiengesellschaft in das Handelsregister mit einem Grundkapital von 630 000 Mark eingetragen.
- 1883 wird die größte sächsische Zuckerfabrik in Döbeln-Kleinbauchlitz zur Herstellung von Zucker aus Runkel- und Zuckerrüben in Betrieb genommen.
- Am 01.09.1884 wird eine Betriebskrankenkasse gegründet.
- 1890 werden Modernisierungsarbeiten durchgeführt (Änderung der Verdampfstation, Erweiterung der Filterpressenstation, Rübenlaboratorium, neue Maischen und Zentrifugen, elektrische Beleuchtung).
(1) AK Döbeln Zuckerfabrik (um 1930)
(2) Am Standort der einst drittgrößten Zuckerfabrik Deutschlands entsteht derzeit ein neues Wohnquartier. Im "Walduferviertel" sollen in den nächsten Jahren vier Mehrfamilienhäuser mit 28 Wohnungen und 61 Eigenheime gebaut werden.
- Am 08. Februar 1895 kommt bei einer Gasexplosion ein Arbeiter ums Leben.
- 1897 - Beitritt zum Deutschen Zuckersyndikat
- 1908 wird eine neue elektrische Rangieranlage eingeführt. Vorher musste man hier auf Zugtiere zurückgreifen.
- Am 27. November 1911 wird die neue Schmalspurbahn Döbeln - Lommatzsch eröffnet. Vorab hatte es im Landtag heftige Debatten über die "Zuckerrübenbahn" gegeben.
Der Döbelner Lehrer Max Köppel verfasste 1925 für das "Nordsächsische Wanderbuch" von Friedrich Prüfer den Beitrag "Döbeln als Industrie und Handelsstadt". Hier erzählt er von einem Besuch der Döbelner Zuckerfabrik, in dem er detailliert die baulichen Gegebenheiten und die Arbeitsabläufe beschreibt, die nötig sind, um aus Zuckerrüben Rohzucker herzustellen.
Unser erstes Ziel ist die Besichtigung der größten sächsischen Zuckerfabrik, die aber nur für beruflich oder volkswirtschaftlich Interessierte von Nutzen ist. Ihre Leitung liegt in der Hand des Herrn Direktor Gilbricht, dem der sehr wertvolle Aufschlüsse verdankt. Anmeldung spätestens einen Tag vorher unter Angabe der Besucherzahl und der Aufsichtspersonen ist dringend erwünscht. Vom Bahnhof stadtwärts wandernd, biegen wir links in die Lindenallee und dann rechts in die Kleinbauchlitzer Straße ein. Im Hintergrunde der links abzweigende Zuckerfabrikstraße breiten sich, überragt von zwei hohen, qualmenden Schornsteinen, die umfangreichen Fabrikanlagen aus. Am Pförtnerhaus vorüber, vor dem sich die Waage für die Vorwerke befindet, die ihre Lasten geradeaus unterhalb der Gleisanlage abladen, wenden wir uns links, benutzen den Durchgang unter dem Bahndamm und stehen zu unserer Linken hinter Strauchwerk sechs Teiche zum Klären der Rübenschlämmwässer, vor uns die Fabrikgebäude und halbrechts Berge von Scheideschlamm liegen, der auf Kippwagen herausgebracht wird. Für die Fabrikation, also zum Auslaugen der Schnitzel und zum Verdampfen, werden von zwei Pumpwerken unterhalb des Greinerschen Steges (mit Elektromotorbetrieb von 440 Volt Gleichstrom) in der Minute 6 cbm Muldenwasser zur Fabrik gehoben. Das nach der Verdampfung des Rübensaftes übrigbleibende Kondenswasser dient zusammen mit dem dritten Teil des geklärten Wassers aus den Teichen erneut zum Schwemmen. Alles in der Fabrikation nicht mehr gebrauchte Wasser wird über die Mulde auf eine Art Rieselfelder geleitet und bleibt sich dort zur Selbstreinigung überlassen.
Die Zuckerfabrik Döbeln, 1883 als AG gegründet, erhält von ihrem Rohmaterial 8 von 100 mit Gespann, 40 von 100 mit Schmalspur- (Rübenbahn!) und 52 von 100 mit Normalspurbahn. Denn der Anlieferungsbezirk greift heute weit über Döbelns nächste Umgebung hinaus. Bahnanschluss nach Döbeln (Norm.) und nach Großbauchlitz (Schmal) ermöglich die bequeme Überführung von jährlich rund 9000 Wagen zum Werk.
Um die Rüben auf ihrem Weg zu begleiten, begeben wir uns zuerst zur Rübenspülanlage. Wir durchschreiten zu diesem Zwecke den kleinen Fabrikhof, lassen rechts den Eingang zu den Geschäftsräumen, links den Anbau für die "Elfa"-Flügelpumpe liegen und gelangen in den Pumpenraum (links Kohlensäure-, Luft-, Saft-, Warmwasser- und Kesselspeisepumpe, geradeaus im Hintergrund im die Diffusionsbatterie, rechts die elektrische Hauptbetriebskraft (100 PS) und die Lichtmaschine (60 PS). Durch die Wäsche steigen wir zu den Gleisen hinauf. Jede Rübensendung wird zuerst auf Schmutzprozente untersucht, indem das Gewicht von 50 Pfund nach einer Probewäsche durch vereidete Beamte festgestellt wird. Dann erst werden die Waggons mit Hilfe der automatischen "Elfa"-Rübenentladung ihrer Lasten entledigt. (Das diesem Zwecke dienende Häuschen fällt beim Betreten des Fabrikgeländes sofort auf!) Ein elektrisch betriebener, beweglicher Kran spritzt die Wagen aus, und das Wasser führt die Rüben in zwei schmalen, sanft geschwungenen Kanälen (links Schmal, rechts Norm.) nach den Schwemmen. Diese neuartige Einrichtung entleert einen 15 Tonnen Wagen in 6 Minuten und spart 30 Ablader. Nur etwas ein Zentner bleibt auf jedem Wagen und wird von den Rangierern heruntergegabelt. Von den Schwemmen aus gelangen die Rüben in 10 m lange und 2 m breite Wäschen, die mit Rührarmen ausgerüstet sind. Hierauf werden die Bahnrüben mit einer Rübenschnecke, die Vorwerksrüben aber mit einer Mammutpumpe zuerst zur Wäsche und dann zu den Schneidemaschinen gehoben, deren jede 12 Messerkästen (mit je vier Messern von zickzackförmigem Querschnitt) enthält, welche die Rüben in fingerlange, prismatische "Schnitzel" zerkleinern. Da jeder Stein, ja selbst jede holzige Rübe die Messer beschädigt, ist der Verbrauch an diesem sehr groß. In der Regel wird täglich viermal gewechselt, doch hat sich auch schon 36-maliger Ersatz nötig gemacht. Die übrigbleibenden "Schwänze" (höchstens zwei von 100 des Rübengewichts) werden als Viehfutter verkauft.
Die Schnitzel werden durch einen Gurt in die einzelnen Gefäße der Diffuseurbatterie (aufrechte Zylinder von je 70 Zentner Fassungsvermögen) verteilt, wo sie mit 75° heißem Wasser ausgelaugt werden. Nachdem sie mit Hilfe von sechs Schnitzelpressen ausgepresst worden sind, ergeben sie noch etwa die Hälfte des Rübengewichtes, fallen nach unten und werden teils sofort verladen, teils zur Trocknung wieder hoch gebracht. Sie werden an die Landwirte, entsprechend deren Rübenlieferung, zu Futterzwecken abgegeben. Nur 25 von 100 werden in dem neuen dreistöckigen Trockengebäude, dass sich zwischen den Gleisanlagen erhebt, getrocknet (bis auf 10 von 100 Feuchtigkeitsgehalt). Ein Motor (8 PS) dient zum Antrieb des Wanderrostes, dem die Kohlen durch Schnecken zugeführt werden. Zugleich bewegt er eine riesige Trommel, in der die Trocknung der gleichfalls durch Schnecken herangebrachten Nassschnitzel stattfindet. Durch einen Exthaustor werden die getrockneten Schnitzel nach dem obersten Stockwerk gehoben, dort gesackt und aufgestapelt.
Der erhaltene "Rohsaft", eine schmutzige braune, unreine Flüssigkeit von unangenehm süßem Geschmack und schlechtem Geruch, beträgt 110 von 100 des Reinheitsgrades. Zur Reinigung und Ausfällung der Nichtzuckerstoffe, insbesondere des Eiweißes, werden ihm zweieinhalb von 100 des Reinheitsgrades Ätzkalk zugesetzt, wobei der Kalk die freien Säuren neutralisiert, die Eiweißstoffe aber abscheidet oder zersetzt. Der Ätzkalk wird in der Fabrik selbst aus zwei Kalköfen von einer täglichen Gesamtleistungsfähigkeit von 500 Zentnern gebranntem aus dem doppelten an kohlensaurem Kalk gewonnen. Als Nebenerzeugnis entsteht dabei Kohlensäure. Diese wird durch Rohre (außen sichtbar) hochgeschickt und gleichzeitig zur Reinigung durch Wasser geführt, dass sie stark erhitzt. Die Kohlensäurepumpe drückt das erwähnte Gas in den kalkmilchhaltigen Saft der vier Saturationsgefäße. Dadurch fällt die Kohlensäure die überschüssigen Kalkverbindungen aus. Der nun hellgelbe Zuckersaft wird in den sieben Schlammpressen, deren jede 36 Kammern hat, unter 3 bis 4 Atmosphären Druck über Trell- und Jutetücher (je 72) filtriert. Während der heiße, weingelbe "Dünnsaft" abläuft, bleibt als Rückstand der "Scheideschlamm" (12 von 100 des Reinheitsgrades), der auf ein bis zwei von 100 abgesüßt ist und zum Düngen (Aufschließung anderer Düngemittel) dient. Er fällt nach unten auf Kippwagen, in denen er auf eine Bühne gefahren und dort in die Tiefe gestürzt wird (s.o.) Die Filtriertücher werden dermaßen in Anspruch genommen, dass sie nur etwa 14 Tage gebrauchsfähig sind.
Ehe der Dünnsaft in die Verdampfungsapparate kommt, macht er eine nochmalige Einleitung von Kohlensäure, eine zweite Filtration, eine Entfärbung mit schwefliger Säure und eine dritte Filtration durch.
Den nunmehr goldgelben "Mittelsaft" nehmen sechs Verdampfungskörper auf, deren erster noch unter Druck arbeitet, während die übrigen in steigendem Maße luftleer sind. Auf diese Weise wird der 13 hundertteilige Saft zum 50prozentigen dunkelbraunen Dicksaft eingekocht.
In drei Vakuumapparaten, der eine für das erste, die beiden anderen für das Nachprodukt bestimmt, wird der Dicksaft unter Luftleere (Name!) auf Korn (Ausscheidung der Zuckerkristalle) verkocht. Die Verringerung des Siedepunktes durch die Luftleere verhindert die Karamellbildung.
Nach 18stündiger Abkühlung erfolgt in vier Schleudern von je 8 Zentnern "Füllmasse" (90 von 100 Trockenbestandteile) mit 1000 Touren in der Minute die Trennung der Kristalle von der dicken, dunklen Flüssigkeit. Die Zuckerkristalle (75 von 100) ergeben den Rohrzucker erstes Produkt, gelbliche, lose Körner von süßem etwas salzigem Geschmack. Die Flüssigkeit, eine schwarze, sirupartige Masse mit 80 von 100 Trockenbestandteilen, wird als "Ablauf" bezeichnet.
Die Kristalle gelangen auf den Zuckerboden und werden von vier Schauflern, die der Hitze wegen fast ganz nackt arbeiten, nach dem darunter liegenden Füllraum befördert und aufgestapelt. In 24 Stunden werden so mindestens 2000 Zentner versandfertig gemacht.
Der Ablauf aber wird in Kästen geleitet, hochgepumpt, auf 92 von 100 Trockenbestandteile eingedickt, im Vakuum für Nachprodukte auf Korn verkocht und ebenfalls geschleudert. Er liefert das Nachprodukt und die "Melasse" (Rahme!). Diese wird dem Futter beigemischt, an Hefe und Spiritusfabriken geliefert oder an Melasseentzuckerungsanstalten abgegeben. In diesen wird sie mittels Strontian auf Zucker verarbeitet. Die sich dabei als Nachprodukt ergebende "Schlempe" vergast das Natriumcyanid (in der Goldwäscherei gebraucht). In der früher acht bis zehn Wochen, künftig kürzere Zeit währenden Kampagne werden etwa eine Million Zentner Rüben verarbeitet, die in der Fabrik durchschnittlich noch einen Zuckergehalt von 17,5 Hundertteilen (1923: 16,8, 1924: 16,5) aufweisen. Zur Verarbeitung werden 120.000 und zur Trocknung außer dem 20.000 Zentner Steinkohlen verbraucht, die von den Gleisen unmittelbar heruntergeworfen werden, so dass sie bequem den 12 automatisch beschickten Kesseln des Heizhauses zugeführt werden können. Das Ergebnis sind 125 000 Zentner Rohzucker, der zur Umwandlung in Gebrauchszucker nach der Raffinerie Rositz (Thüringen) kommt, die neben Holland bei Köthen und Halle für die Zuckervertriebsgesellschaft Halle arbeitet. Während die eine Hälfte des Zuckers schon in der Kampagne versandt wird, kommt der Rest erst im Laufe des Sommers zur Verschickung.
Von dem in der Betriebszeit erforderlichen Stab von 30 Beamten und von den 300 Arbeitern bleiben nach Schluss der Kampagne nur 25 bzw. 60 zurück, um beim Aufarbeiten und bei der sorgfältigen Vorbereitung -jede Stockung zieht den gesamten Betrieb in Mitleidenschaft- auf die nächste ununterbrochene Verarbeitungszeit behilflich zu sein.
Prüfer, Friedrich: Nordsächsisches Wanderbuch. Mittleres Nordsachsen. Dresden-Wachwitz. 1925, S. 65-68

- 1934 baut die Maschinenfabrik August Kopp aus Göritz eine Dampfmaschine für die Zuckerfabrik, die fortan das Herzstück der Fabrik ist.
- 1937 wird ein Trocknungsgebäude errichtet und eine Büttner-Trockentrommelanlage eingebaut. Dazu gehören Kohlebänder, Kohlebunker, Schlackekratzer, Schlackenelevator, Naßschnitzelschnecke und automatisches Reglergetriebe.
- 1939 schafft man mit der Gründung der Betriebsfeuerwehr eine "Müller-Dreitakt-Motorspritze" an. Die Feuerlöschgerätefabrik Julius Müller ist ein Döbelner Traditionsbetrieb.
- Am 14. Mai 1945 nimmt die Fabrik als Volkseigener Betrieb die Arbeit wieder auf.
- Die Fabrik meldet 1948 eine Steigerung ihrer Kapazität auf 185% im Vergleich zu 1939.
- Entlang der Max-Planck-Straße wird nach 1950 auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Langner eine Rübenlagerfläche eingerichtet.
- 1952/53 schafft man einen Kohlekran an und baut einen Kohlelagerplatz.
- Für die Mitarbeiter der Fabrik wird 1960/61 in der Max-Planck-Straße ein Zwölf-Familienhaus errichtet.
- Im Jahr 1965 kommt es zur Zusammenlegung der Betriebe Brottewitz, Döbeln, Oschatz und Löbau. Es entsteht das VEB Zuckerkombinat "Ernst Thälmann" Oschatz.
- 1966 wird entlang der Max-Planck-Straße der Rübenlagerplatzes erweitert. Erstmals kommt ein Rübenstapelgeräts vom Typ "BUM" zum Einsatz.
- 1967 stellt man die Belieferung der Fabrik über die Schmalspuranlage ein. Die Anlieferung erfolgt über die Straße.
Arbeitsalltag in der Zuckerfabrik, 1950/1960er Jahre
- 1971 erhält die Fabrik eine neue Rübenprobeanlage, die eine exakte Schmutzbestimmung ermöglicht und für die Mitarbeiter bessere Arbeitsbedingungen bringt.
- 1980 wird ein neuer Kalkofen vom Zyp K 45 G eingebaut. Es ist ca. 6 Mio Mark die größte Investition seit Bestehen der Fabrik. Im selben Jahr schafft man einen 6,5-t-Kessel an und bildet mit den angrenzenden Betrieben eine Heizgemeinschaft.
- Die Effektivität des Betriebs ist mit den Jahren stetig gewachsen. Brauchte man 1945 für eine Zuckerrübenkampagne noch 681 Mitarbeiter, reichten 1980 235 aus.
- Am 28. November 1991 wird die Döbelner Zuckerfabrik durch den neuen Eigentümer, die Südzucker AG Mannheim, geschlossen. Die Belegschaft darf noch bis zum 30. März 1992 die Produktionsanlagen demontieren. Die alten Dampfmaschinen werden in das Zuckermuseum Oldisleben abtransportiert.
- Am 30. März 1992 gehen mit der letzten Schicht 110 Jahre Döbelner Zuckerfabrik zu Ende.
- 1993 werden die drei Schornsteine der ehemaligen Zuckerfabrik gesprengt, wovon einer die stattliche Höhe von 120 Meter hatte. Nach und nach werden alle Gebäude der Fabrik abgerissen.
- Letztes Relikt der alten Zuckerfabrik ist heute ein Gebäude, das damals links des Fabriktores stand. Etwas abschätzig wurde es als "Polenkaserne" bezeichnet, weil hier jedes Jahr von September bis Dezember polnische Gastarbeiter untergebracht waren, die als Aushilfskräfte in der Rübenkampagne arbeiteten. Heute ist das Gebäude zu einem Wohnhaus umgebaut worden.
© Michael Höhme, "Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
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Döbeln und seine Traditionsbetriebe
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Döbeln und seine Industriegeschichte
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Döbeln und seine Industriepioniere